Wie Lebensmittelkonzerne in Österreich politische Entscheidungsprozesse beeinflussen: Das Beispiel forum. ernährung heute

Dieser Beitrag ist Teil unserer Blogbeitragsreihe von Student:innen am MCI | Die Unternehmerische Hochschule®. Die geäußerten Ansichten sind die der Student:innen selbst und sollen der Information sowie dem Diskurs dienen.

 

Autorin: Nadine Doll

Redaktionelle Bearbeitung: Raffael Heiss

03.11.2022 (updated, 12.12.2022)

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Die Nahrungsmittelindustrie investiert große Summen für PR- und Lobbyarbeit, um Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse zu nehmen (So, 2021). In den Vereinigten Staaten geben die 30 größten Lebensmittelunternehmen (Coca-Cola, Pepsi und Co) gemeinsam fast 40 Millionen Dollar pro Jahr für Lobbying aus (Doering, 2021). Die meisten Gelder fließen bei Coca-Cola. Das Unternehmen hat im Jahr 2020 etwa 5,83 Millionen Dollar in 24 Lobbyisten investiert (Doering, 2021). Allerdings erfolgt Lobbying nicht immer über hochbezahlte Lobbyist/innen. In Österreich steht etwa der Verein „forum. ernährung heute“ als strategischer Arm der Nahrungsmittelindustrie immer wieder in der Kritik (z.B, ORF, 2015).

Aktive Interessensvertretung ist natürlich nicht verboten. Die NGO "Transparency International" beschreibt Lobbying-Aktivitäten als integralen Bestandteil einer gesunden Demokratie: „Sie ermöglichen verschiedenen Interessengruppen ihre Ansichten zu öffentlichen Entscheidungen, die sie betreffen könnten, zum Ausdruck zu bringen." (So, 2021) Allerdings verfolgen Lebensmittelunternehmen privatwirtschaftliche for-profit Unternehmen, die nicht unbedingt mit öffentlichen Interessen im Einklang stehen. So haben kumulierte wissenschaftliche Erkenntnisse selten Priorität, wenn es darum geht, Gesetze und Vorschriften zu ihren Gunsten durchzusetzen bzw. zu verhindern (Stuckler & Nestle, 2012).

Doch wer steht eigentlich hinter dem Forum Ernährung Heute (FEH)? Welche Agenda verfolgt das Forum? Und wie nimmt es Einfluss auf die Politik?

Das "forum. ernährung heute" wurde laut eigenen Angaben 1991 „als wissenschaftlich fundierte Kommunikationsplattform gegründet und soll zu einer besseren Information in der Ernährungsdiskussion beitragen und allgemeinverständlich aufklären“. (Forum Ernährung Heute, 2022a). Ein Blick auf die Mitgliederliste des Forums zeigt jedoch einen deutlichen Interessenskonflikt. Zu den Mitgliedern des Forums zählen nämlich Unternehmen wie Coca-Cola, McDonalds, RedBull oder Manner (Forum Ernährung Heute, 2022a).

Abbildung 1: Mitgliederliste des forum. ernährung heute

Auf eine Presseanfrage im Jahr 2017 hin hieß es, dass das Forum „durchschnittlich ungefähr 10.000 Euro jährlich“ von jedem Unternehmen bekomme (ORF, 2017). Das wären bei 22 gelisteten Mitgliedern circa 220.000 Euro jährlich. Nach eigenen Angaben des Forums lag das Jahresbudget in den letzten Jahren im Durchschnitt zwischen 250.000 und 300.000 Euro (ORF, 2017). Der Verband erhält also den Großteil seines Geldes von der Industrie. Im Jahresbericht des Forums sind die Geldgeber zwar benannt, es wird jedoch nicht vermittelt, wie viel diese an den Verein geben. Für eine Einschätzung der Tätigkeit des Vereins wäre es jedoch wichtig, die Finanzflüsse transparent nachvollziehen zu können.

Die Partnerunternehmen des Forums (siehe Abbildung 1) sind alle für die Produktion bzw. den Verkauf hoch-verarbeiteter Lebensmittel bekannt sind, die oft viel Zucker und Fett und zu wenig Ballaststoffe beinhalten (Pagliai et al., 2021). Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass das "forum. ernährung heute" sich etwa über die WHO-Empfehlung eines Konsums von maximal 5-10 Teelöffeln Zucker pro Tag (Weltgesundheitsorganisation, 2015) wenig erfreut zeigte (siehe Forum Ernährung Heute, 2015). Auf der Website des FEH wird zum Thema Zuckerkonsum diese Perspektive vermittelt:

"Zucker steht häufig im Kreuzfeuer der Kritik. Von „Volksdroge“ ist die Rede, Folgen wie Adipositas und Diabetes werden genannt. Dabei zeigt die Wissenschaft: Zucker macht weder süchtig noch zuckerkrank. Übergewicht entsteht aufgrund einer Reihe von Einflüssen und resultiert aus dem generellen Ungleichgewicht zwischen Energieaufnahme und –verbrauch. Natürlich ist es leicht, einen Schwarzen Peter zu definieren. Doch es gibt weder "gute" noch "böse" Lebensmittel, diese Einteilung lässt sich seriös nicht treffen. Wesentlich sind die langfristigen Essgewohnheiten und ein aktiver Lebensstil. Die Dämonisierung von einzelnen Produkten ist daher auch nicht zielführend. Sie geht am Problem - nämlich an den Ursachen - vorbei. Lösungen für die Praxis liegen in einer gesteigerten kulinarischen Bildung und in einer eigenverantwortlichen Lebensführung" (Forum Ernährung Heute, 2022b).

Darüber hinaus versucht das Forum die Rolle des Zuckerkonsums in zahlreichen Aussendungen möglichst klein zu halten. In einer Presseaussendung aus dem Jahr 2014 schreibt das Forum etwa:

„Breite Hüften und ein runder Bauch haben deshalb wenig mit zu viel Zucker oder Fett im Essen zu tun - im Gegenteil. In einer ausgewogenen Ernährung hat jedes Lebensmittel und jedes Getränk einen Platz.“ (Forum Ernährung Heute, 2014)

Laut WHO fördert erhöhter Zuckerkonsum eine überschüssige Kalorienzufuhr. Zudem gäbe es einen klaren Zusammenhang zwischen erhöhtem Zuckerkonsum (insbesondere aus zuckerhaltigen Getränken) und Fettleibigkeit, Diabetes Typ 2 und vielen anderen nicht-übertragbaren Zivilisationskrankheiten (Weltgesundheitsorganisation, 2015). In den veröffentlichten Statements des Forums wird jedoch primär die mangelnde Bewegung für diese Krankheiten verantwortlich gemacht, und dadurch die Verantwortung an die Konsument/innen delegiert.

Doch warum macht das Forum das? Im Interesse ihrer Fördergeber will das Forum wohl möglichen Regulierungen seitens der Regierung, wie einer Erhöhung der Zuckersteuer oder eine Regulierung der Vermarktung zuckerhaltiger Produkte, entgegenwirken.

 

Einfluss auf die Nationale Ernährungskommission

Neben den oben angeführten Kommunikationsaktivitäten ist das Forum auch in der Nationalen Ernährungskommission (NEK) vertreten, einem entscheidenden Gremium der nationalen Ernährungspolitik. Die NEK berät den Bundesminister für Gesundheit in allen Fragen der gesundheitsbezogenen Ernährungspolitik (Sozialministerium, 2022). Auf der Webseite des Ministeriums für Gesundheit, Soziales und Konsumentenschutz werden der NEK folgende Aufgabenbereiche zugewiesen (Sozialministerium, 2022):

  • Bewertung vorhandener Evidenz auf Basis der IST-Analysen
  • Identifikation von spezifischen Handlungsfeldern basierend auf einer wissenschaftlichen Risikobewertung und Dringlichkeitsanalyse
  • Schärfung von Zielformulierungen innerhalb der Aktionsfelder des NAP.e
  • Ableitung von möglichen Maßnahmen und Schwerpunktaktionen
  • Erstellung von Vorschlägen hinsichtlich einer Priorisierung von Aktionsfeldern, Zielgruppen und gegebenenfalls einzelnen Settings
  • Plattform zum Austausch / Netzwerkaufbau
  • Informationsdrehscheibe


Durch die beratende Funktion der NEK haben Entscheidungen direkte Auswirkung auf die Gesetzgebung und damit auch auf die gesamte österreichische Bevölkerung. Daher ist es wichtig, dass diese Beratungsfunktion von vertrauenswürdigen und unabhängigen Institutionen oder Personen besetzt wird. Die Mitglieder der NEK kommen aus 41 verschiedenen Institutionen. Jede Institution entsendet je zwei Vertreter/innen (Sozialministerium, 2022). In der Liste der Mitglieder findet sich unter anderem auch das "forum. ernährung heute". Nach aktuellem Stand (August 2022) sind für das FEH zwei Repräsentant/innen vertreten: Marlies Gruber (Geschäftsführerin des FEH) und Claudia Maria Angele, die im wissenschaftlichen Beirat des FEH vertreten ist (siehe Abbildung 2, Sozialministerium 2022).

Abbildung 2: Mitglieder der NEK - Nationalen Ernährungskommission in Österreich (Sozialministerium, 2022, S. 4)

Blick nach Vorne

In Zeiten steigender Adipositas-Zahlen ist es besonders wichtig, dass die Nationale Ernährungskommission aus unabhängigen Personen besteht. Von der Industrie geförderte Vereine, wie das "forum. ernährung heute", fordern leider oft den breiten wissenschaftlichen Konsens heraus und streuen Desinformation, welche das Vertrauen in öffentliche Institutionen, wie der WHO, unterminieren kann. Ähnliche Beispiele finden sich auch auf internationaler Ebene, wie etwas das International Life Sciences Institute (Greenhalgh, 2019). Regulierungen, wie die Einführung einer Zuckersteuer oder die schärfere Regulierung von Marketingaktivitäten, sind wirksam und sollten auch in Österreich breiter diskutiert werden.

Eine Steuer auf zuckergesüßte Getränke wurde bereits weltweit in 54 Ländern eingeführt. Untersuchungen aus Mexiko, Südafrika und dem Vereinigten Königreich haben gezeigt, dass Steuern auf zuckerhaltige Getränke den Zuckerkonsum drastisch reduzieren können (Obesity Evidence Hub, 2022). Es wäre also sinnvoll, sich die Ergebnisse dieser Länder genauer anzusehen und von ihnen zu lernen. In Österreich und vielen anderen Ländern wird dies jedoch seit Jahren unter anderem durch effektives Lobbying und PR-Arbeit von der Nahrungsmittelindustrie erfolgreich verhindert. Es gäbe viele Maßnahmen, die auch in Österreich dazu beitragen könnten, Krankheiten und Übergewicht zu reduzieren. Entsprechende politische Maßnahmen wären ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Literaturverzeichnis

Doering, Ch. (2021). Where the dollars go: Lobbying a big business for large food and beverage CPGs. https://www.fooddive.com/news/where-the-dollars-go-lobbying-a-big-business-for-large-food-and-beverage-c/607982/?utm_source=Sailthru&utm_medium=email&utm_campaign=Issue:%202021-12-06%20Food%20Dive%20Newsletter%20%5Bissue:38423%5D&utm_term=Food%20Dive

Forum Ernährung Heute (2014). Gute Gewohnheiten statt "böse" Lebensmittel. https://www.ots.at/amp/pr/OTS_20140526_OTS0126/

Forum Ernährung Heute (2015). Neue WHO-Zuckerguideline verkennt Ursachen. https://www.forum-ernaehrung.at/pressemeldungen/detail/news/detail/News/neue-who-zuckerguideline-verkennt-ursachen/

Forum Ernährung Heute (2021). f.eh-Report 2021. https://www.forum-ernaehrung.at/fileadmin/user_upload/f.eh_report_2021.pdf

Forum Ernährung Heute (2022a). https://www.forum-ernaehrung.at/wir-ueber-uns/mitglieder/

Forum Ernährung Heute (2022b). https://www.forum-ernaehrung.at/themen/zucker

Greenhalgh, S. (2019). Making China safe for Coke: how Coca-Cola shaped obesity science and policy in China. BMJ, 364. https://doi.org/10.1136/bmj.k5050

Obesity Evidence Hub (2022). Countries that have implemented taxes on sugar-sweetened beverages (SSBs). https://www.obesityevidencehub.org.au/collections/prevention/countries-that-have-implemented-taxes-on-sugar-sweetened-beverages-ssbs

ORF (2017). Ernährungstipps mit Geld der Industrie. orf.at. https://orf.at/v2/stories/2384267/2384266/

Pagliai, G., Dinu, M., Madarena, M. P., Bonaccio, M., Iacoviello, L., & Sofi, F. (2021). Consumption of ultra-processed foods and health status: a systematic review and meta-analysis. British Journal of Nutrition, 125(3), 308-318.

So, A. (2021). The food industry presence at COP26. Food Research Collaboration. https://foodresearch.org.uk/blogs/the-food-industry-presence-at-cop26/

Sozialministerium (2022): NEK - Nationale Ernährungskommission. https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Lebensmittel-Ernaehrung/Ernaehrungsstrategien-und-Gremien/NEK.html

Stuckler, D., & Nestle, M. (2012). Big food, food systems, and global health. PLoS medicine, 9(6). https://doi.org/10.1371/journal.pmed.1001242

WHO (2015). Guideline: Sugars intake for adults and children. Geneva: World Health Organization (WHO). https://www.who.int/publications/i/item/9789241549028

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