Dieser Beitrag ist Teil unserer Blogbeitragsreihe von Student:innen am MCI | Die Unternehmerische Hochschule®. Die geäußerten Ansichten sind die der Student:innen selbst und sollen der Information sowie dem Diskurs dienen.
Autorin: Julia Pickelmann
18.11.2021
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FH-Prof. Dr. Lukas Kerschbaumer
Dozent & Studiengangsleiter des Bachelor-Programms Social, Health & Public Management
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Seit dem Sommersemester 2020 hat sich der Studienalltag für rund 380.000 Studierende in Österreich durch die aktuelle COVID-19 Pandemie massiv verändert. Die bundesweiten Maßnahmen, geschlossene Hochschulen sowie die Veränderung der Lernlandschaft stellten Studierende vor noch nie dagewesene Herausforderungen. Im Rahmen meiner Masterarbeit am MCI Management Center Innsbruck habe ich die Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf den psychischen Gesundheitszustand und die akademische Leistung von Studierenden in Österreich untersucht. Im März 2021 wurde in Kooperation mit dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung ein Online-Fragebogen an alle 73 Hochschulen in Österreich ausgesendet und zudem über relevante Social-Media-Kanäle geteilt. Für den Fragebogen wurde großteils auf validierte Messinstrumente zurückgegriffen und beispielsweise der Gesundheitsfragebogen für Patienten-4 (PHQ-4)[1], die „Perceived Stress Scale-10“ (PSS)[2] und einzelne Fragen aus der Studierenden Sozialerhebung 2019[3] inkludiert. Insgesamt wurden 5.098 Fragebögen, überwiegend in Deutsch ausgefüllt (97%), in die Auswertung eingeschlossen. Bei einer statistischen Grundgesamtheit von 376.050 Universitätsstudierenden in Österreich entspricht dies einer Rücklaufquote von 1,36%.
Alle erhobenen Daten basieren auf den Selbsteinschätzungen der Teilnehmenden, die Aussagekraft ist daher limitiert und die Ergebnisse müssen mit Vorsicht interpretiert werden. Die Resultate der psychologischen Skalen lassen zudem nur Tendenzen und keine Diagnosen erkennen.
Mehr als zwei Drittel der befragten Studierenden gaben an, dass ihre psychische Gesundheit seit dem COVID-19-Ausbruch etwas (46%) oder viel (26%) schlechter ist als in der Zeit davor. 20% gaben an, dass sie ungefähr gleichgeblieben ist und 6% empfinden ihre psychische Gesundheit als etwas und 2% als viel besser verglichen mit vor dem Ausbruch der Pandemie. Zudem zeigte der PHQ-4 eine schwerwiegende psychische Belastung bei 42% der Befragten an und 43% der Studierenden wurden positiv auf Tendenzen zu Angststörung und 48% auf Tendenzen zu Depression getestet (vgl. Grafik 1-3). 32% der teilnehmenden Studierenden wiesen eine Komorbidität von Angststörung und Depressionen auf. Weiters gaben 17% der befragten Studierenden im Rahmen der PSS ein niedriges Stressniveau an, während 58% mittleren und 25% hohen Stress erlebten (vgl. Grafik 4).
Um zusätzliche stressbedingte Schwierigkeiten und psychische Beschwerden zu ermitteln, wurde eine Frage aus der Studierenden-Sozialerhebung 2019 übernommen. Die stärksten Auswirkungen wurden für die Items fehlende Studienmotivation (55%) und Lern- und Konzentrationsschwierigkeiten (54%) angegeben. Darüber hinaus gab mehr als ein Drittel der Studierenden an, dass stressbedingte gesundheitliche Beschwerden (40%), depressive Stimmungen (39%), Versagensängste/Prüfungsangst (39%) und mangelndes Selbstwertgefühl (35%) ihr Studium stark beeinflussen (vgl. Grafik 5). Seit der Studierendenbefragung 2019 hat sich die Situation der Studierenden durch die COVID-19-Pandemie spürbar verschlechtert, manche Werte sind eineinhalb oder fast doppelt so hoch wie im Jahr 2019 (vgl. Grafik 6). Vor allem Lern- und Konzentrationsschwierigkeiten, mangelnde Studienmotivation, mangelndes Selbstwertgefühl sowie depressive Verstimmungen haben deutlich zugenommen. Es muss jedoch beachtet werden, dass diese Umfrage mit anderen Studierenden durchgeführt wurde und ein Vergleich bzw. Fazit nur mit Vorsicht gezogen werden kann.
In Bezug auf die Auswirkungen auf die akademische Leistung der Studierenden gilt es zunächst zu erwähnen, dass die akademische Leistung ein Zusammenspiel verschiedener Indikatoren ist, darunter Arbeitspensum, Anwesenheit, Noten und persönliche Faktoren. Fast die Hälfte der Teilnehmenden (47%) gab an, dass ihr Arbeitspensum seit der Umstellung auf Online-Vorlesungen zugenommen hat. Angesichts der neuen Lehr- und Lernumgebungen gaben die meisten Studierenden an, dass sie den persönlichen Austausch mit anderen Studierenden (87%) und Lehrenden (75%) vermissen, dass es für sie schwieriger ist, sich im Online-Unterricht zu konzentrieren und engagiert zu bleiben (72%) und sich zum Lernen zu motivieren (66%). Allerdings gaben auch 71% an, dass sie durch die digitalen Lehrformate zeitlich flexibler sind. Mehr als die Hälfte der befragten Studierenden hat das Gefühl, dass sie mit Onlinevorlesungen nicht die gleiche Qualität der Ausbildung erhalten (56%) und nicht effizient studieren können (53%). 44% gaben zudem an, dass Fragen in digitalen Lehrformaten nicht so gut beantwortet werden können wie in Präsenzveranstaltungen (vgl. Grafik 7). Dennoch blieben die Anwesenheit und die Noten bei der Mehrheit der Befragten gleich.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass psychische Probleme bei Studierenden nicht neu sind. Die Ergebnisse der Studierenden-Sozialerhebung haben in den vergangenen Jahren immer wieder auf die steigenden psychischen Probleme aufmerksam gemacht. COVID-19 hat den psychischen Gesundheitszustand von Studierenden in Österreich jedoch erheblich negativ beeinflusst. Mehr als zwei Drittel der Studierenden sind der Meinung, dass sich ihre psychische Gesundheit durch die Pandemie verschlechtert hat. Dies spiegelt sich auch in den positiven Screening-Tendenzen für Depressionen und Angststörungen bei fast der Hälfte aller Befragten und den durchwegs hohen Stresswerten wider.
Das Studieren während einer Pandemie stellt für die befragten Studierenden eine erhebliche Herausforderung dar. Auch wenn sich bei der Mehrheit die Noten und die Anwesenheit nicht verschlechtert haben, kann man festhalten, dass COVID-19 deren akademische Leistung insgesamt negativ beeinflusst hat. Dies spiegelt sich vor allem in Konzentrations- und Motivationsschwierigkeiten sowie einem geringeren Leistungsniveau wider. Es besteht daher dringender Bedarf an gezielten Angeboten und Maßnahmen einschließlich:
- Mehr Informationen und Aufklärung, wie man in Zeiten einer Krise psychisch gesund bleibt und wo man bei Bedarf Hilfe bekommt
- Ein breiterer, niederschwelliger und leistbarer Zugang zu psychischen Gesundheitsdiensten und erweiterte Kapazitäten der Psychologischen Studierendenberatung
- Präventive Angebote und Programme an österreichischen Hochschulen, um dem steigenden Trend von psychischen Erkrankungen entgegenzuwirken
- Stärkere Sensibilisierung bzw. Aufmerksamkeit der Politik
[1] Der Gesundheitsfragebogen für Patienten-4 (PHQ-4) ist eine kurze Messung psychischer Belastung und der Kernsymptome und Anzeichen von Angststörung und Depression (Kroenke, Spitzer, Williams, & Löwe, 2009).
[2] Die „Perceived Stress Scale-10“ (PSS) ist ein 10-teiliges validiertes Stressbewertungsinstrument welches misst, inwieweit Situationen im Leben einer Person als belastend/stressvoll empfunden werden (Cohen, Kamarck, & Mermelstein, 1983).
[3] Die Studierenden-Sozialerhebung ist eine seit den 1970er Jahren wiederholt stattfindende Umfrage unter österreichischen Studierenden im Auftrag des Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (Institut für Höhere Studien, 2019)
Literaturverzeichnis
Cohen, S., Kamarck, T., & Mermelstein, R. (1983). A Global Measure of Perceived Stress. Journal of Health and Social Behavior, 24(4), 385.
Institut für Höhere Studien (2019). Fragebogen der Studierenden-Sozialerhebung 2019. Retrieved May 10, 2021, from http://www.sozialerhebung.at/images/Berichte/SOLA19_Fragebogen_publ.pdf.
Kroenke, K., Spitzer, R. L., Williams, J. B.W., & Löwe, B. (2009). An Ultra-Brief Screening Scale for Anxiety and Depression: The PHQ–4. Psychosomatics, 50(6), 613–621.